Freitag, 25. Mai 2012

Das Projekt



Viele denken, wenn sie an die Beziehung zwischen Polen und Deutschland denken, an den 2. Weltkrieg und an Willy Brandts Kniefall vor dem Denkmal für die Opfer des Warschauer Ghettoaufstandes.
Der besagte Kniefall war der Grundstein für die Verbesserung des Verhältnisses zwischen Polen und Deutschen. Ein weiterer Meilenstein gerät immer mehr in Vergessenheit oder ist gar nicht bekannt - die Polenhilfe in der 80er Jahren.

Im Folgenden möchten wir - das sind 3 Schülerinnen des Berufskolleg für Witschaft und Verwaltung Herne - informieren, Erinnerungen wecken und einen Denkanstoß geben, denn Hilfe in dieser Form gab es bis heute selten. 

Die Idee zu diesem Projekt entstand durch einen historisch-journalistischen Workshop und Wettbewerb für Jugendliche von Barbara Cöllen, der Herausgeberin des Buches "Polenhilfe - Als Schmuggler für Polen unterwegs". Durch den Workshop und anschließende Recherche stellten wir fest, dass man bei der Suche mit Hilfe von Suchmaschinen im Internet - der Hauptinformationsquelle unserer Generation - zwar Haushaltshilfen aber kaum Informationen über die Polenhilfebewegung findet. Dies veranlasste uns dazu, diesen Blog ins Leben zu rufen, damit das Wissen und die Emotionen der damaligen Zeit nicht verloren gehen und mehr Menschen von dieser großartigen Bewegung erfahren.

Geschichtliche Entwicklung in Polen


Um die Entwicklungen in Polen zu verstehen, muss man in der Geschichte bis zum 2. Weltkrieg zurückblicken. Es begann mit der deutschen Besatzung Polens im Jahre 1939, bei der zuerst deutsche und später auch sowjetische Truppen einmaschierten. Die grausamen Taten der Nationalsozialisten brannten sich tief in die Erinnerung der polnischen Bürger ein.
Nach dem Krieg gaben die Siegermächte bekannt, dass Polen sein Staatsgebiet zurückerhalten sollte, jedoch wurden die Grenzen neu gezogen. Eine unabhängige, auf den Grundsätzen der Demokratie basierende Wahl sollte es dem Land ermöglichen, eine neue Regierung zu wählen.Die Chance auf einen Neuanfang, welche jedoch schnell zerstört werden sollte: Der "rote Diktator " Josef Stalin, auch der "stählerne" genannt, verhinderte die Neuwahlen Polens durch seine grausame Diktatur, welche sich vor allem auf die Osteuropäischen Staaten auswirkte. So wurde aus der Aussicht auf Demokratie und Frieden eine kommunistische Diktatur unter dem Einfluss der Sowjetunion.

Es folgten Jahrzehnte der Armut und Unterdrückung, doch zu Beginn der 80er Jahre wurden die Stimmen gegen das politische System immer lauter: Es kam zur sogenannten "Streikwelle", welche zuerst zu lokal begrenzten Streikbewegungen führte, ehe es gelang, Landesweite Demonstrationen durchzusetzen.
Aus einer der vielen kleinen Streikbewegungen entstand eine ganz besondere Gewerkschaft, welcher es mit Hilfe der katholischen Kirche gelang, ganze Völker im Zeichen der Solidarität zu vereinen, um die polnische Bevölkerung so gut wie möglich zu unterstützen : Solidarność .
Die polnische Regierung erkannte die Gefahr, die von der Streikbewegung ausging und versuchte die Situation durch die Registrierung der Solidarność zu entschärfen. Allerdings machte der Kreml immer mehr Druck diese Revolution zu unterbinden, worauf die Regierung Anfangs noch nicht reagierte. Als die Solidarność 1981 bei einer Sitzung ein noch stärkeres politisches Engagement beschließt, geht die polnische Regierung gegen sie vor. Nach einem Wechsel in der Führungsspitze der Regierung wird im Dezember 1981 trotz Kompromissbereitschaft Seitens der Solidarność das Kriegsrecht in Polen verhängt.
Unbeeindruckt von den vielen Verboten hielt die Solidarność an ihren Zielen fest und erreichte später die zumindest teilweise Durchführung freier Wahlen in Polen, was sich als ein großer Schritt in die Richtung der politischen Wende erweisen sollte.

Durch die Verhängung des Kriegsrechts verschlimmerte sich die Situation der polnischen Bevölkerung immer mehr, sodass sie zunehmend auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen war.
Besonders die amerikanische als auch die deutsche Bevölkerung solidarisierten sich mit ihren polnischen Mitmenschen, schickten Pakete mit Nahrungsmitteln, Kleidung und vielen weiteren Dingen nach Polen, immer in der Hoffnung, zur Verbesserung des allgemeinen Zustandes der polnischen Bürgerinnen und Bürger beizutragen. Die katholische Kirche fungierte abermals als Bindeglied zwischen den einzelnen Völkern und verteilte die erhaltenen Geschenkpakete aus dem Ausland unter der polnischen Bevölkerung. Diese Bewegung ist das, was wir heute unter dem Begriff Polenhilfe zusammenfassen.

Die Polenhilfe-Bewegung ist in ihrem Ausmaß und Einsatzwillen bis heute Beispiellos. Leider gerät diese für die polnische und auch für die deutsche Gesellschaft so wichtige Zeit immer mehr in Vergessenheit, da die Erinnerung an diese Zeit immer mehr entweicht.

Interview


Wir sprachen mit einer Frau, die zu der besagten Zeit in Deutschland lebte und Päckchen zur Unterstützung der Hilfsbedürftigen versendete. Wir unterhielten uns mit Ihr unter anderem darüber, wie sie die Zeit erlebte und fanden heraus, dass sie die Hilfsaktionen als selbstverständlich und normal ansah.

Projektgruppe: Wie alt waren Sie zur Zeit der Polenhilfebewegung?
Zeitzeugin: Ich war 12 Jahre alt und lebte mit meiner Familie in Deutschland.
Projektgruppe: Welche Dinge haben Sie in die Pakete gepackt?
Zeitzeugin : Wir haben in erster Linie Lebensmittel und Kleidung versendet. Besonders die Süßigkeiten für die Kinder und Kaffee haben wir gerne verschickt, denn über diese Dinge haben sich die Familien, die unsere Pakete erhielten sehr gefreut.
Projektgruppe: Sie wussten also wer ihr Paket erhielt?
Zeitzeugin: Ja, das wussten wir. Es waren Familien, die wir persönlich kannten.
Projektgruppe: Wie haben sie die Zeit im Allgemeinen erlebt?
Zeitzeugin: Also es war für uns nichts besonderes diese Päckchen zu verschicken, denn ich bin damit aufgewachsen. Wir haben die betroffenen Familien auch zu uns eingeladen und Ihnen besondere Kleidungsstücke zugeschickt. Es gab zum Beispiel Mäntel, die zu einer Zeit sehr „angesagt“ waren. Wir haben also auch dafür gesorgt, dass sie auch in Polen auf dem neusten Stand waren.
Projektgruppe: Ist Ihnen eine Sendung besonders in Erinnerung geblieben?
Zeitzeugin: Für mich war es immer etwas Besonderes, wenn wir Zitrusfrüchte oder Schokolade verschicken konnten. Denn diese Dinge gab es in Polen nicht zu kaufen und dieser individuelle Geschmack war den Menschen in Polen noch nicht bekannt. Auch besonders schöne Hemden oder andere Kleidungsstücke, die sie dort nicht kaufen konnten, sind mir in Erinnerung geblieben.
Projektgruppe: Diese Hilfsaktionen geraten immer mehr in Vergessenheit. Finden sie das schade?
Zeitzeugin: Nein, ich finde das nicht schade, denn das ist der Zahn der Zeit. Trotzdem bin ich froh, dass ich es erleben durfte auch wenn ich es mehr als Normalität ansah und deshalb nicht mehr viele Erinnerungen an die Zeit habe.
Projektgruppe: Angenommen so eine Situation würde wieder entstehen. Würden sie wieder helfen?
Zeitzeugin: Auf jeden Fall!
Projektgruppe: Glauben Sie, Hilfe in diesem Ausmaß wäre auch heute noch möglich?
Zeitzeugin: Ja ich denke, so etwas wäre wieder möglich. Man kann dies vergleichen mit den Naturkatastrophen. Viele Menschen sind von der plötzlichen Armut der Menschen in den betroffenen Regionen ergriffen und sind sofort bereit zu helfen.
Projektgruppe: Vielen Dank für das Interview!

Interview

Wir sprachen mit Mariola Zacheja, die mit neun Jahren noch in Polen lebte und Pakete im Rahmen der Polenhilfebewegung erhalten hat. Sie hat aus der besagten Zeit eine Menge an Erinnerungen mitgenommen, angefangen von den Warensendungen bishin zum harten Alltag. Bei ihr zu Hause wurde viel über die aktuelle Notsituation gesprochen und alle waren sich einig, dass die Hilfe aus Deutschland und anderen Ländern, wie zum Beispiel Italien und Ungarn überlebenswichtig war.


Projektgruppe: Wie haben Sie die Zeit erlebt?
Mariola Zacheja: Ich habe aus dieser Zeit sehr viel mitgenommen. Bei uns zu Hause wurde viel über die Geschehnisse und Zustände gesprochen, sodass ich trotz meines Alters viel darüber wusste. Ein weiteres Bild, das ich bis heute vor Augen habe, sind die leeren Geschäfte.
Projektgruppe: Wie war das Gefühl zu wissen, dass es eine so große Unterstützung gibt?
Mariola Zacheja: Es war schön zu wissen, dass jemand da ist, der Interesse zeigt und gerade als Kind war es toll Geschenke zu erhalten. Noch heute kann ich deswegen bei ähnlichen Aktionen sehr gut mit den Menschen mitfühlen und freue mich das jemand hilft.
Projektgruppe: Können Sie sich an den Inhalt der Pakete erinnern?
Mariola Zacheja: Ja kann ich, es gab pro Haus ein Sack Mehl. Die restlichen Lebensmittel wie Wurst, Käse, Kaffee, Tee und Süßigkeiten wurden durch die Kirche und Schulen verteilt. Es gab auch einzelne Pakete für die Kinder, in denen noch andere Dinge waren.
Projektgruppe: Was war das Schönste, dass Ihnen aus dieser Zeit in Erinnerung geblieben ist?
Mariola Zacheja: Eine Sache ist mir besonders im Gedächtnis geblieben, ein blauer Rock, der mit vielen Äpfeln bedruckt war und natürlich die Süßigkeiten, die wir größtenteils gar nicht kannten.
Projektgruppe: Besitzen sie diesen Rock noch heute?
Mariola Zacheja: Leider nicht. Als wir 1989 Polen verließen, bzw. geflohen sind mussten wir die meisten Dinge zurücklassen und konnten nur das nötigste mitnehmen. Das ist sehr schade, denn dadurch sind viele Erinnerungsstücke wie Fotos verloren gegangen.
Projektgruppe: Haben Sie versucht diese Sachen wieder zu finden?
Mariola Zacheja: Ja, wir sind ein paar Jahre später noch einmal nach Polen zurückgekehrt. Die ganzen Sachen waren aber schon verschwunden.
Projektgruppe: Haben Ihnen diese Dinge sehr geholfen?
Mariola Zacheja: Definitv, denn zu dieser Zeit gab es bei uns kaum etwas und alles was geschickt wurde war auch wirklich notwendig. Auf die Idee etwas zu entsorgen wäre nie jemand gekommen.
Projektgruppe: Hat diese Zeit Ihr weiteres Leben stark geprägt?
Mariola Zacheja: Ja, noch heute wird bei uns kein Essen weggeworfen. Teilweise habe ich aber das Gefühl, dass es mich zu stark geprägt hat. Denn auf viele Dinge reagiere ich zu emotional. Doch eine weitere wichtige Sache habe ich damals gelernt: Es ist egal was man hat, wir alle sind Menschen. Man muss zusammenhalten und auch manchmal über Dinge hinwegsehen. Auch der Familienzusammenhalt war damals ein ganz anderer, denn wir haben alles geteilt und auch für den anderen zurückgesteckt. Diese Werte versuche ich heute auch meiner Tochter zu vermitteln.
Projektgruppe: Gibt es auch viele negative Dinge die Sie noch in Erinnerung haben?
Mariola Zacheja: Es sind damals viele grausame Dinge passiert. Eine Geschichte möchte ich an diesem Punkt erzählen. An einem Tag ist ein deutscher Laster gekommen, der mit Zucker beladen war. Die Deutschen fingen an, vom Wagen aus, den Zucker an die Kinder zu verteilen. Auf einmal kam die Polizei und fing an die Kinder zu jagen, da sie keinen Zucker bekommen sollten. Es wurden aber immer wieder Wege gefunden, solche Besonderheiten ungemerkt zu verteilen.
Projektgruppe: Wenn Sie die aktuelle gesellschaftliche Situation beurteilen. Denken Sie etwas derartiges wäre auch zu heutigen Zeiten möglich?
Mariola Zacheja: Ich glaube, dass es wieder möglich wäre. Ich selbst würde viel tun, allerdings kann ich hier nicht für alle Menschen sprechen.
Projektgruppe: Was denken Sie, hat die Menschen in Polen während dieser Zeit so stark gemacht?
Mariola Zacheja: Der Glaube der Menschen hat sie so stark gemacht. Deswegen war es gut, dass die Kirche so eine große Unterstützung geleistet hat. Die Menschen waren sehr dankbar, dass ihnen geholfen wurde auch wenn sie dies nicht direkt aussprachen.
Projektgruppe: Finden Sie es bedauerlich, dass diese Bewegung so in Vergessenheit gerät?
Mariola Zacheja: Ich fände es toll, wenn es nicht vergessen wird. Denn es kann uns jederzeit wieder passieren, wie man schon teilweise in der Wirtschaftskrise sehen konnte. Es ärgert mich auch, dass zwar im Ausland viel Hilfe geleistet wird, aber in Deutschland sehr viele arme Menschen untergehen.
Projektgruppe: Haben Sie noch Kontakt zu Personen aus ihrer Kindheit?
Mariola Zacheja: Ich bin bei einem polnischen sozialen Netzwerk angemeldet. Darüber habe ich viele Menschen wiedergefunden und versuche bis heute Kontakt zu halten. Wichtig ist mir auch, die Sprache nicht zu verlernen.
Projektgruppe: Haben Sie Menschen kennengelernt, die Pakete verschickt haben?
Mariola Zacheja: Eine Familie habe ich kennengelernt. Ich hatte als Kind noch die Gelegenheit für 3 Wochen zu einer Familie in den Niederlanden zu reisen, die Pakete an uns geschickt haben.
Projektgruppe: Vielen Dank für das Interview.

Umfrage: Solidarität heute

Die Arbeiten an dem Projekt, welches wir Ihnen auf diesen Seiten vorstellen, löste in uns einen Gedankenprozess aus, der schließlich in einer ganz zentralen Frage mündete:
Würde sich die Gesellschaft der heutigen Zeit im selben Maße solidarisieren, wie es die Menschen damals taten?

Um dies herauszufinden, versuchten wir die damaligen Ereignisse mit Hilfe einer an unserem Berufskolleg durchgeführten Umfrage in die heutige Zeit zu projezieren.
So versetzten sich die insgesamt 101 Teilnehmer unserer Umfrage in eine Situation der Armut und versuchten herauszufinden, welche Dinge ihnen helfen würden, mit der Situation umzugehen. Neben einem Obdach, Nahrungsmitteln, Geld und materiellen Dingen wie Handys, Autos und Kosmetik wünschten sich die Schüler vor allem sowie die Gewissheit, trotz allem gleichberechtigt behandelt zu werden. Auffällig war, dass ein Begriff auf nahezu jedem Umfragebogen zu finden war: Unterstützung.

Auf die Frage, wie die Schüler auf Leidsituationen anderer reagieren, bezogen sie sich zunächst auf Personen, die sie persönlich kennen, ehe sie ihre Reaktionen bezüglich fremden Leides einzuschätzen versuchten. Während sie bekannte Personen wie etwa Freunde oder Verwandte bei sich zu Hause aufnehmen würden, hielten sie Geld- und Sachspenden sowie das Mitwirken in Hilfsorganisationen für gute Möglichkeiten, Fremden Menschen in Notsituationen in ihre Gebete mit einzuschließen.

Da die Menschen im Rahmen der "Solidarno´s´c-Bewegung" vor allem in Pakete verpackte Gegenstände verschickten, sollten auch die Schüler im Geiste solche Pakete packen und entscheiden, was genau sie den in Not geratenen Menschen schicken würden, um sie zu unterstützen. Besonders materielle Dinge wie etwa Kleidung, Spielzeug, Kommunikationsgeräte und Hygieneartikel schienen den Befragten sinnvolle Inhalte ihrer Pakete zu sein.. Nahrungsmittel und Medikamente sind ebenfalls häufig in den Paketen der Schüler zu finden.

Illegale Tätigkeiten, wie etwa das Schmuggeln diverser Waren würden für die Teilnehmer unserer Umfrage eher nicht in Frage kommen, wobei einige Schüler bei Notwendigkeit das Gesetz brechen würden, um die in Not geratenen Menschen zu unterstützen.

Abschließend fragten wir die Schüler, wie weit sie persönlich für das Wohlergehen anderer gehen würden. Hier zeigte sich bei vielen die Angst, dass ein zu großer Einsatz für andere das eigene Leben beeinträchtigen oder in hohem Maße verändern könne. Dennoch wären die befragten Personen bereit, mit dieser Angst umzugehen, sie zu überwinden und den betroffenen Personen zu helfen, so wie es die Menschen vor ca 21 Jahren taten.

Abschlussworte

An dieser Stelle möchten wir betonen, dass uns die Arbeit an diesem Projekt viel Spaß gemacht hat. Wir hätten uns gewünscht, die Emotionen, welche bei den Gesprächen mit den Zeitzeugen spürbar waren, in irgendeiner Art und Weise darstellen zu können. Leider gibt es dafür nicht das passende Medium.

"Egal ob arm oder reich, jeder von uns ist ein Mensch, jeder von uns ist gleich!" (Mariola Zacheja)










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